Traumzeit

 

Der australische Journalist Robert Croll wurde 1869 in Pleasant Creek geboren. Sein Vater war Goldminer. Beste Voraussetzungen für einen Satiriker! Im hohen Alter schrieb Robert Croll diese Zeilen:

 

When God knocked off one night, he said:

'This earth is a rotten failure!

How to improve it? Let me see...’

Next day he made Australia.

 

Das Gedicht entspricht weder den Dreamtime-Geschichten der australischen Ureinwohner, noch stimmen die Aussagen mit der Bibel überein. Bei allen, denen ich damit zu nahetrete, möchte ich mich vorab entschuldigen.

Doch diese Idee inspirierte mich! So habe ich die Zeilen im Traum einfach weitergesponnen:

 

Tags drauf betrachtet der Schöpfer das göttliche Werk!

 

Zufrieden urteilt der Allmächtige: „Die Kimberleys, die Flinders Ranges und die Cradle Mountains sind mir ganz gut gelungen. Die Strände, das Outback, die Savannen und der Regenwald können sich sehen lassen. Die Twelve Apostels, die Three Sisters und Wave Rock sind einzigartig!“

Erbost rüffelt der Allvater seinen Adlatus: „Du hast die Landmasse ja völlig falsch platziert! Ich hatte Terra Australis gesagt – also südliches Land! Und du Dussel hast den Kontinent neben Grönland gesetzt.“

Der Adjutant schiebt und ächzt eine Weile, dann salutiert er vor dem Chef: „Zwischen der Antarktis und Indonesien habe ich ein Plätzchen gefunden – ist das jetzt okay?“

„Irgendetwas fehlt mir noch!“, grummelt der alte Mann in den weißen Bart, „ein Korallenriff, ein Bergmassiv und ein erhabenes Fotomotiv wären gedeihlich!“

So befiehlt der Schöpfer dem Assistenten: „Das Barrier Reef soll mit 2.300 Kilometern und 1.000 Inseln das größte Riff der Erde werden. Ziehe den Mount Kosciuszko 2.228 Meter hoch und lege ein alpines Panorama drum herum an – wie wir es in der Schweiz geschaffen haben. Und ins rote Herz des Kontinents setzt du den Uluru. Sorge bitte dafür, dass er beim Sonnenuntergang atemberaubend leuchtet.“

Der Weltenlenker lehnt sich wohlgestimmt zurück und sinniert über die nächsten Schritte: „Die Flora und Fauna sollen paradiesisch werden! Drei Klimazonen geben mir die Möglichkeit für Experimente:

Ich kreiere 20.000 Pflanzenarten, die nirgendwo sonst auf dieser Erde wachsen: Eukalyptus- und Akazienbäume, Kletter- und Farnpflanzen, Palmen und Mangrovenwälder …

Bei den Tieren lasse ich mir etwas völlig Neues einfallen: Kängurus, Koalas, Wombats, Emus und Goannas. Dazu schaffe ich Termiten, Fliegen, Spinnen, Schlangen und 400 Vogelarten in den prachtvollsten Federkleidern …“

Aus heiterem Himmel wird der Allmächtige in seinem Gedankengang unterbrochen.

„Chef, mit dem Barrier Reef bin ich fertig“, salutiert der Adjutant. „Ich habe 359 Steinkorallen-Arten, Weichkorallen und alle Seefedern verbraucht. Hast Du noch eine Aufgabe für mich? Sonst mache ich Feierabend.“

„Setze in die Ozeane 1.500 Fischarten ein. Wale, Delphine und Schildkröten sehen immer gut aus. Vergiss nicht die Seesterne und den Seetang! – Wenn die Meeresbewohner schwimmen, schaue mal runter auf den Kontinent und berichte mir, ob dir mein Terra Australis gefällt.“

 

Nach einer Weile kehrt der Adjutant zurück: „Ich bin begeistert! Den Sonnenuntergang im Outback zu erleben – allein dafür hat sich der Trip nach Down Under gelohnt. Die roten Wüsten, die goldgelben Savannen und die sattgrünen Regenwälder ergeben ein farbenprächtiges Mosaik. Selbst die entlegensten Landschaften sind grandios.

Mit der Pflanzen- und Tierwelt ist Dir echt ein genialer Coup gelungen. Aber was hat Dein großer Schöpfergeist bei diesem dickbauchigen Baobab-Tree, dem armen Schnabeltier und dem ewig lachenden Kookaburra gedacht?“

 „Ein bisschen Spaß muss sein, dann ist die Welt voll Sonnenschein!“, trällert der Allvater glückselig eine Melodie, die er gerade im Radio gehört hat.

„Und warum hast Du so viele Schlangen, Spinnen und Quallen giftig gemacht?“

„Wenn die Menschen – die ich auf diesem Kontinent leben lassen werde – die Kreaturen und die Natur achten, wird ihnen nichts geschehen!“

 

Millionen Jahre vergehen, der Adlatus wird nervös:

 

„Chef, ich glaube, ich muss in Terra Australis nach dem Rechten schauen! Da tauchen plötzlich Erdlinge auf, die Du nach Deinem Ebenbild geschaffen hast! – Wie sind diese Wesen auf den entlegenen Erdteil gekommen?“

Der Weltenlenker wiegt das schwere Haupt: „Warte ab, es werden noch weitere Menschen das Land besiedeln. Das Zusammenleben wird nicht immer einfach sein – aber eines Tages nennen sich alle voller Stolz Australier!“

Zehntausende Jahre später hält es den Gehilfen nicht zurück: „Ich sehe mir das Leben und die Leute in Down Under noch mal an!“

 

Der Allmächtige erteilt ihm den Segen.

 

Die Zeiten vergehen. Endlich kehrt der Adjutant heim: „Deine Idee mit dem Naturschutz haben die Leute da unten angenommen: Mittlerweile gibt’s über 500 Nationalparks – aber wenn die im Barrier Reef so weitermachen, ist damit bald Schluss.“

Der große Schöpfergeist macht ein paar Notizen. Dann fragt er den Heimkehrer sorgenvoll: „Wie haben dir Speis und Trank gemundet?“

„Als Nektar bevorzugen die Ozzies Bier. Statt Ambrosia stillt das Volk den Hunger mit Meat Pie! Deine mit Liebe kreierten Goannas werden als Kost leider verschmäht.

Ein Irdischer meinte tatsächlich: ‘Well, you can live on it, but it tastes like shit.’.

Ansonsten sind die Aussies eine freundliche und sportliche Nation – nur ab und zu schwer zu verstehen. Wenn du mit ihnen befreundet bist, rufen sie dich ‚Mate‘.

Und das von mir mit Mühe verschobene Terra Australis kürzen sie ab und nennen es Straya.“

„Wie schlägt sich mein Lieblingsland im internationalen Vergleich?“

„Ob Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft oder Sicherheit – die Australier schneiden in allen Statistiken exzellent ab.“

„Du klingst ja begeistert“, streicht sich der alte Herr über den Bart. „Haben die Erdlinge da unten zwischenzeitlich auch Städte gebaut?“

„Städte?“, juchzt der Gehilfe, „Megacitys – und eine attraktiver als die andere! Sydney und das Opernhaus sind wahre Publikumsmagneten. Melbourne wird pausenlos zur ‚lebenswertesten Stadt der Welt‘ gekürt.

 

Meine absolute Favoritenstadt ist jedoch Adelaide. Brisbane, Perth, Cairns und Darwin finde ich ebenfalls cool. Ich habe etliche Fotos mit dem Smartphone geschossen: Schau Dir die Bilder in Ruhe an. Dann kannst Du ja selbst entscheiden, welche Stadt Dir am besten gefällt.“

„Ist schon gut“, unterbricht ihn der große Schöpfergeist. „Ich sehe deine Begeisterung. Sind die Australier auch stolz auf ihren Kontinent?“

„Die meisten Mates sagen, Australien sei besser als jedes andere Land auf der Welt. Du solltest mal die ausflippenden Patrioten am Australia-Day sehen!“

 

Jählings wird der Adlatus sentimental: „Eines Deiner Geschöpfe hat das Gedicht ‚My Country‘ geschrieben. Die Dichterin heißt Dorothea Mackellar. Die Kinder lernen diese Zeilen bereits in der Schule.

Ich trage Dir mal eine Strophe vor:

 

"I love a sunburnt country, a land of sweeping plains,

Of rugged mountain ranges, of droughts and flooding rains.

I love her far horizons, I love her jewel-sea,

Her beauty and her terror - the wide brown land for me!"

 

Der Schöpfer scheint ergriffen. Er zieht ein Linnentuch aus dem wallenden Gewand. Zwei göttliche Tränen rinnen über seine glutroten Wangen.

Diskret winkt der Assistent die Cherubinen herbei. Lautlos nimmt die Engelsschar auf den Schäfchenwolken Platz. Aus den göttlichen Kehlen der überirdischen Wesen ertönt eine himmlische Melodie. Der Adlatus bringt sich in Positur:

 

„Chef, eines Deiner Erdenkinder – Peter Allan – hat ein Lied komponiert. Die herzergreifende Ballade trägt den Titel ‚I still call Australia home‘. Die Choreografie habe ich aus der Qantas-Werbung auf YouTube übernommen.“

 

Es ertönt der wohlklingende Bariton des Adjutanten:

 

I've been to cities that never close down

from New York to Rio and old London town,

but no matter how far or how wide I roam

I still call Australia home.

 

I'm always traveling, I love being free,

and so I keep leaving the sun and the sea,

but my heart lies waiting over the foam.

I still call Australia home ...

 

Der Allmächtige lehnt sich majestätisch zurück „Dieses Werk ist mir wohl gelungen. Sollte ich eines fernen Tages die Erde aufsuchen, reise ich gewiss nach STRAYA! “

 

Ich drehe mich im Bett herum und reibe meine Augen:

 

‚Ein himmlischer Traum!!!‘

 

 

 

Aus AUSTRALIEN-GESCHICHEN  von Klaus Kilian / www.kilian-autor.de